Briefwechsel der Eheleute Schütte Sommer 1940

1940 Juni 10 Willy Schütte an seine Ehefrau Lottchen1

Lottchen Schütte

Camp de Gurs, Ilot 1

Baracke 25

Camp de la Viscoas2, Albi (Tarn)
10. Juni3 1940

Mein geliebtes Lottchen !

Leider bin ich noch immer ohne Nachricht von Dir … hat schon drei Briefe von Erna und ich habe überhaupt nicht … sofort ein Telegramm! Denn dann weiss ich schon morgen, was … Ich leide sehr unter unserer Trennung. Aber das Gefühl , dass … gut aufgehoben seid, beruhigt mich sehr. Ausserdem, geniesst Du die wundervolle Natur und kannst weite Spaziergänge machen … Wer weiss, ob Du wieder mal so, billig, in die Pyreneen kommst!

Wie mir mein Kamerad Oskar berichtete, sollt Ihr dort, ausgezeichnet verpflegt werden. Bekommt Ihr auch Wein? Oskar sagte mir … Euch der Lieferwagen täglich vor der Tür hält. Hoffentlich … frisches Gemüse!

… alles so billig sein, dort, und das beruhigt mich sehr.

Leider haben wir es nicht so gut, wie Ihr. Wir schlafen …cken! Und nachts frieren wir. Emil und Gustav waren … Enttäuschung für mich. Wenn die was geschickt bekamen, … die nie etwas ab, aber im Nehmen, da sind sie immer gross. … liebes Lottchen, dass das bei Euch Frauen, … ist.

Wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann denke … und unsere kleine Wohnung und an unseren Hund. Wo das Tier wohl sein mag?

Aber sei nicht traurig, liebes Lottchen, es kommt alles … so, wie es gewesen ist! Man hat mir gesagt: Wir Prestataire … bestimmt dieselben Rechte wie die Franzosen, geniessen.

Am meisten ärgere ich mich über mein verlorenes Gepäck. … Wollsachen nicht eingepackt habe. Aber Dir, mei liebes …, wird es wohl nichts ausmachen, denn bei dem wundervollen …schein brauchst Du ja die warmen Sachen nicht!

Verzage nicht, mein geliebtes Lottchen, über die ver… Trennung! Ich komme ja bald dich holen, und wünsche ein braungebranntes und vergnügtes Weibchen, in meine Arme schliessen zu können!

Gruss und Kuss

Immer Dein treuer

Willy.

1940 Juli 10 Lottchen Schütte4 an Willy Schütte5

An den Herrn Prestateur6 Willy Schütte, Camp de la Viscoas, Albi {Tarn}
Camp de Gurs, den 10. Juli7  1940

Lieber Schatz!

Dies ist jetzt der 10. Brief, den ich Dir schreibe.! Leider hast Du Dich über Verschiedenes geirrt!  Ich habe bereits für 2 Telegramme mit Rückantwort 30.- Frcs. ausgegeben und nun ist das Geld weg! Und Du hast immer noch nichts von mir gehört?

[…] Damit Du eine Ahnung hast, wie es hier ist, will ich Dir nur mal unsere wöchentliche Speisekarte berichten:

Montag, Dienstag, Mittwoch

Stockfisch und Knallerbsen
Knallerbsen und Stockfisch
Stockfisch und Knallerbsen

Abends

Eine Tomate, eine Sardine
eine Sardine, eine Tomate
eine Tomate, eine Sardine
manchmal leider nur die Hälfte

Donnerstag, Freitag, Sonnabend

Reis mit Fleisch
Fleisch mit Reis
Reis mit Fleisch
Scheiss mit Reis!

Und Sonntag gibt es

Linsensuppe mit Nudeln!

Lieber Schatz, denke Dir, neulich hatten wir sogar für 60 Personen eine ganze Tafel Schokolade bekommen! Und 10 Personen durften sich eine Rippe teilen. […]

Ich bin von unserer Baracke zur Brotverteilerin gewählt worden und das gibt viel Ärger! 6 ½ Personen, ein Brot! […] Mir ist nachts sehr kalt. Und ich muss mich sogar mit dem guten, schwarzen Mantel zudecken, den Du mir in Lafayette8 gekauft hast! […]

 

1 Fundstelle: maschinenschriftlicher Durchschlag in LBI, Durchschlag eines maschinenschriftlichen Briefes, in: Leo Baeck Institute, Signatur Gurs (Concentration camp) Collection, Box OS 21, AR 2273. – Die Vorlage ist farblich schlecht und daher nicht immer lesbar.

2 Le camp de la Viscose, situé au lieu-dit Saint-Antoine, sur la commune d'Albi (Dep. Tarn), est ouvert pour y accueillir les étrangers « indésirables » et les ressortissants du Reich, dont de nombreux Juifs. Das Lager existierte zwischen Juli und August 1940 und bestand aus mehreren Holzbaracken. Von den 886 Gefangenen waren 112 Deutsche, darunter 86 Juden und eine unbekannte Zahl von Spanienkämpfern. Am 10. August 1940 wurden 674 Deutsche an das Reich ausgeliefert: Fondation pour la mémoire de la déportation www.bddm.org .

3 Unterstreichungen in der Vorlage.

4 Eine Frau (Charlotte) Schütte taucht nicht in den Listen der Toten von Gurs auf; demnach ist sie entweder in ein Todeslager deportiert worden oder hat überlebt. Willy Schütte dürfte nicht überlebt haben – siehe Anm. 2.

5 Fundstelle: Durchschlag eines maschinenschriftlichen Briefes, in: Leo Baeck Institute, Signatur Gurs (Concentration camp) Collection, Box OS 21, AR 2273.

6 In Frankreich, einem wichtigen Exilland für deutsche Emigranten sowie für Flüchtlinge aus dem Spanischen Bürgerkrieg, galt ab Juli 1938 für alle Ausländer, die um Asyl nachsuchten, die Pflicht, als Prestataires (Dienstleister) zu arbeiten. Diese Pflicht wurde am 12. April 1939 auf alle männlichen Ausländer zwischen 20 und 40 Jahren ausgeweitet. Die Prestataires, die nicht näher definierte gemeinnützige Arbeiten zu leisten hatten, waren in paramilitärischen Verbänden unter dem Kommando der Armee zusammengefasst, sogenannten „Compagnies de prestataires“ (Dienstleister-Kompanien, auch Compagnies de Travailleurs Étrangers, CTE, Fremdarbeiterkompagnien).

7 Unterstreichungen in der maschinenschriftlichen Vorlage.

8 Gemeint ist sicher eine der Galeries Lafayette: Sie ist eine große traditionsreiche französische Warenhauskette. Das Stammhaus befindet sich in Paris, einem der ältesten Kaufhäuser Frankreichs, mit (2023) 55 Filialen in Frankreich.