Interpretation:
C. 3 scheint eine Neckerei zu sein, die die puella längere Zeit nach dem Tod eines Sperlings an
ihre damalige übertriebene Betroffenheit erinnert (so Quinn, S. 85) oder das Motiv des
Gedichtes 2 in eine Parodie der Totenklage einbezieht. Auf jeden Fall gibt es humoristische
Elemente genug:
(1) inhaltliche:
die angeblich exzessive Liebe der puella zum passer (5);
die
Bezeichnung mellitus (6); die erotische Nähe zur Herrin (8-10);
die Schilderung seines Gangs in
die Unterwelt wie bei einem antiken Helden (11-12);
die empörte Beschimpfung der tenebrae Orci,
die den passer geraubt haben sollen (13-15), schließlich die verkappte Beschuldigung des passer
selbst, durch dessen ,Tätigkeit' sich die Augen des Mädchens vom Weinen röten (16-18);
die
Beschränkung des Kreises der Trauernden auf all jene, die etwas von Liebe verstehen, auf Venus
und Cupido in allen Gestalten und allen Wirkungsformen und auf all die Menschen, die sich mit
einiger Berechtigung zum ,Venus-people' rechnen dürfen (Venus-people ist ein Versuch, den Klang
von hominum venustiorum einmal nachzuahmen). Der Komparativ ohne Vergleichspunkt kann eine zu
hohe oder relativ hohe Stufe angeben, woraus die Formulierung ,die sich mit einiger
Berechtigung Venus-people nennen' ihre Berechtigung herleitet. Der Plural Veneres und Cupidines
kann im oben dargestellten Sinne verstanden werden: Venus und Cupido in allen Gestalten. Eine
Beschränkung bei Venus auf Aphrodite Pandemos und Aphrodite Uranios (vgl. Plato, Symposion
180d-182a), wie sie Quinn in seinem Kommentar vornimmt, scheint unangebracht. (Möglich wäre,
daß schon mit diesen Bezeichnungen Menschen gemeint sind und homines venustiores dazu noch eine
Steigerung darstellen soll.)
(2) formale: die chiastische Alliteration pmmp (3-4) und die
Epipher puellae (3-4); die pathetische Figura etymologica it per iter tenebricosum; die Reihung
von Ausrufen (15). Der gern vorgenommene Vergleich mit Tierepikedien (besonders Meleager,
Anthologia Palatina VII 207) bringt wenig Erhellung. Catulls 3. Gedicht ist kein Grabepigramm,
sondern zum größten Teil eine Totenklage (Threnos oder Threnodie).
aus: H.-J. Glücklich, Catulls Gedichte im Unterricht, Göttingen 2. Aufl., 1990, S.21
(=Consilia, Lehrerkommentare, Heft 1)