aus: PZ, hrg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, Nr.32, März 1983, S. 25.
"So ein Jammer! Was für eine Karriere hätte ich noch vor mir gehabt! Diese verlausten Wilden haben mich ruiniert!" Kopfschüttelnd nahm Publius Varus noch einen tiefen Schluck Wein aus einem goldenen Becher. Dann stürzte er sich in sein eigenes Schwert. "Er war immer so lieb zu mir!" schluchzte die bildschöne Sklavin Lydia (19). Tränenüberströmt brach sie über der Leiche zusammen. Ringsum Leichen. Blut. Unterdessen wird im Zelt des Siegers Arminius (31), gefeiert. Met fließt in Strömen - Wildschweinbraten. Der Held des Tages lässt sich feiern. Die schönsten Cheruskerinnen drängen sich um ihn. Alle wollen ihn küssen. Thusnelda (24), seine Frau, stört das nicht! "Ich bin ja so stolz auf meinen Hermann!"
In mehrtägigen Gefechten haben in der vergangenen Woche die aufständischen Cherusker, Chatten und Brukterer drei römische Legionen unter dem Kommando von Publius Quintilius Varus vernichtend geschlagen. Von den fast 20.000 Mann haben sich nur wenige versprengte Einheiten zum Stützpunkt Aliso am Rhein durchschlagen können. Varus soll sich nach bisher unbestätigten Berichten selbst das Leben genommen haben. In einer ersten Stellungnahme erklärte Ermann, der Cheruskerfürst: "Die Römer haben endlich bekommen, was sie verdient haben" Er führte den Erfolg auf die höhere Kampfmoral der Germanen zurück. Aus römischen Militärkreisen verlautet, die Niederlage sei schmerzlich, aber Rom habe schon Schlimmeres verkraftet. Zu den Ursachen des Fiaskos im Teutoburger Wald wie auch zu politischen und militärischen Schlussfolgerungen wollte man sich noch nicht äußern.
Von unserem Redaktionsmitglied Carolus E.
Rom hat im Teutoburger Wald einen Denkzettel erhalten. Drei Legionen fehlen nun der römischen Armee, die sich an allen Ecken und Enden des Reiches unruhigen, aufstandsbereiten Völkerschaften gegenüber sieht. Dieser Verlust wird sicherlich bald ersetzt sein, aber an der Aufarbeitung der in Germanien gemachten Erfahrungen wird man in Rom noch zu schaffen haben.
Bei Lichte besehen wäre diese Niederlage nicht notwendig gewesen. Der Einsatz von drei frisch aufgestellten Legionen in Germanien, die überhaupt keine Kampferfahrung mitbrachten, war sicherlich ein Fehler. Die Hauptverantwortung aber trifft den Oberbefehlshaber Varus selbst. Hätte er, wie ursprünglich geplant, den Rückmarsch über die befestigte Heerstraße nach Aliso durchgeführt, wäre überhaupt nichts passiert. Die undisziplinierten, schlecht bewaffneten und zahlenmäßig weit unterlegenen Krieger der Cherusker und ihrer Verbündeten hätten auf offenem Feld nicht die Spur einer Chance gehabt. Es darf bezweifelt werden, ob die anderen Stämme dann Erman (Arminius) in ein solches Abenteuer gefolgt wären. Hermanns Einfluss auf sie ist gering. Und ob er ein geschickter Feldherr gewesen wäre, steht für immer dahin, denn diese Arbeit hat Varus ihm abgenommen.
Varus hat seine Rückmarschpläne auf die bloße Meldung von einem unbedeutenden Lokalaufstand geändert, um auf diesem kleinen Umweg die Sache zu bereinigen. Dieser kleine Umweg aber führte durch unwegsames, waldreiches Gelände. Hinzu kam das schlechte Wetter, das die Wege in Morast verwandelte. Arminius hat sich noch bis einen Tag vor der Schlacht in seinem Lager aufgehalten. Er galt ja als treuer Anhänger Roms. Als die Situation günstig war, machte er sich davon und gab das Angriffssignal. Selbst dann war die Lage für Varus und seine Legionen noch nicht aussichtslos. Wenn man den Berichten der Überlebenden glauben darf, verlor Varus total den Kopf und leitete einen ziemlich kopflosen Rückzug nach Aliso ein. Damit bot er der Partisanentaktik der Germanen offene Flanken.
Die Legende von der großen Schlacht, die jetzt schon kursiert, wird dem Geschehen nicht gerecht. Es war eine mehrtägige Kette von überfallen aus dem Hinterhalt, kleinen Scharmützeln, ein Guerilla-Krieg. Das funktioniert auch ohne scharfsinnige militärische Führung.
In Rom wird man sich überlegen, was nun zu tun, wie die Schmach auszulöschen ist. Sicher wird es einige Demonstrationen römischer Militärmacht im rechtsrheinischen Gebiet geben. August aber ist ein kluger Kopf. Er weiß, dass die Besetzung Germaniens bis auf die Elblinie militärisch auch weiterhin kein Problem ist. Nicht alle römischen Heerführer sind so dumm wie Varus. Die Frage ist, ob die germanische Wildnis, wo es außer Bärenfellen nicht viel zu holen gibt, diese Kraftanstrengung lohnt. Und die damit verbundenen politischen Risiken. Diese liegen weniger in den zu erwartenden Schwierigkeiten mit den germanischen Stämmen. Schwerwiegender ist das Sicherheitsproblem, das die Vorverlegung von wenigstens acht Legionen an die neue Grenze im Hinterland aufwirft. Die jetzigen Grenztruppen am Rhein sichern nicht nur die Grenze - sie halten auch Gallien in Schach, wozu die Legion in Lyon alleine nicht in der Lage ist. Zusätzliche Legionen für Gallien, wo sollten die herkommen? Wovon sollten sie bezahlt werden? Die Rhein-Donau-Grenze könnte, wenn politische Klugheit in Rom entscheidet, durchaus die endgültige Grenze des römischen Reiches in diesem Teil der Welt werden.
Die römische Expansion in Germanien scheint fürs Erste, vielleicht für immer, gestoppt. Dazu kann man stehen wie man will. Dem einen ist es ein Sieg der Freiheit, dem anderen ist es eine traurige Niederlage der Verbreitung von römischer Kultur, Wissenschaft und Lebensart. An beiden ist wohl etwas dran. Eine klügere, weniger gewaltsame, die Kultur der unterworfenen Volker mehr achtende Kolonialpolitik Roms hatte das eine bringen können, ohne das andere zu rauben. Diese Chance ist vertan. Nicht zuletzt engstirnige Militaristen wie Varus tragen da ihre historische Verantwortung.
Vielleicht wird dieses Datum in die Geschichte eingehen, wenn es einmal germanische Geschichte geben sollte. Allzu viel Grund gibt es nicht, darauf stolz zu sein. Es war kein großer militärischer Sieg. Und wenn, dann geht er auf das Konto militärischer Unfähigkeit eines römischen Generals. Hermann der Cherusker hat die Gunst der Stunde genutzt, den Römern eine Schlappe zu verpassen. Aber er ist ein Stammesfürst. Ein gemeinsames Nationalgefühl kann er den Germanen nicht geben. Ihre Fehden in Zwistigkeiten wird der zufällige Sieg nicht überwinden.
Worauf sollte man auch stolz sein? Hermanns größte Leistung besteht darin, Varus in den Hinterhalt gelockt zu haben. Er hat ihn, schlicht gesagt, getäuscht, indem er die Rolle des treuen römischen Vasallen bis zum letzten Augenblick gespielt hat. Aus der Sicht Roms ist Hermann ein feiger Verräter. Nun mag man sagen, der Zweck heiligt die Mittel. Aber was war der Zweck? Welche Motive hatte Hermann? Ging es ihm wirklich um die Freiheit Germaniens? Die Gegner im eigenen Lager denken da ganz anders.
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